Entwicklungen im Mittleren Osten
Die 5. Weltkonferenz der ICOR hat im September dieses Jahres auf die schnellen, oft unvorhersehbare Veränderungen und auch revolutionäre Entwicklungen in der Welt hingewiesen. Resultierend aus der Labilität des imperialistischen Weltsystems mit multiplen Krisen und wechselnden Kräfteverhältnissensehen wir uns inmitten einer Zeit der großen Entwicklungen, in denen innerhalb weniger Tage Jahrzehntelange Verhältnisse umgeworfen werden.
Wie unsere Hauptkoordinatorin in der Eröffnung der 5. Weltkonferenz richtig einleitete, stürzt „das imperialistische Weltsystem die Menschheit in lebensgefährliche, existenzbedrohende Krisen: eine anschwellende Tendenz zum Faschismus, die Gefahr eines dritten Weltkriegs und den Beginn der globalen Umweltkatastrophe. Sie stellen die Menschheit vor die historische Alternative: Untergang in der imperialistischen Barbarei oder vorwärts zum Sozialismus und Kommunismus, trotz aller Schwierigkeiten.“ Alleine die Entwicklungen des letzten Jahres bestätigen unsere treffenden Analysen. Ein kurzer Ausblick auf den Mittleren Osten genügt:
Genozid und Krieg in Gaza und Libanon
Die Entwicklungen seit dem 7. Oktober 2023 haben die gesamte Region verändert. Der palästinensische Befreiungskampf ist wieder ins weltweite Bewusstsein der fortschrittlichen Menschheit gerückt und die jahrzehntelange zionistische Unterdrückung wurde erneut entlarvt. Das Ausmaß der Entwicklungen reicht weit über die Region hinaus. Die palästinensische Frage polarisiert die gesamte Welt und fordert die bürgerliche Demokratie heraus, denn in vielen Ländern mit uneingeschränkter Unterstützung für Israel, wird mit Staatsgewalt, Repression, Rechtsabbau und Willkür auf Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf reagiert. Dabei ist jede Solidarität legitim und zwingend notwendig, denn die Folgen des Genozids und Ökozids in Palästina und Libanon sind dramatisch und stehen symbolisch für die Abgründe der kolonialen und imperialistischen Aggressionen in der Region. Der Krieg gegen das palästinensiche Volk in allen Teilen Palästinas hat ein Ausmaß der Vernichtung angenommen, das viele historische Erfahrungen übertrifft. Gaza ist zu einer Teststätte für die technologisierte Genozide und Kriegsführung des 21. Jahrhundert geworden.
Mit der Wahl des Faschisten Donald Trump zum US-amerikanischen Präsidenten, ist ein offener Gegner der palästinensischen Freiheitsfrage an die Spitze des hauptkriegstreibenden Staates der Welt getreten, der seinem Vorgänger Joe Biden in nichts nachstehen wird. Die von ihm in seiner vorherigen Amtszeit angetriebenen Abraham-Verhandlungen und die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem sind weitreichende Angriffe auf das palästinensische Volk gewesen. In unverbrüchlicher Zusammenarbeit mit Israel, das ein konterrevolutionäres Zentrum und Standbein des westlichen Imperialismus in der Region ist, wurde der Genozid in Gaza auf den Libanon ausgeweitet und die zionistischen Aggressionen und Besatzungsangriffe regionalisiert. Die faschistische genozidale Netanyahu-Regierung nutzt ihre technologische und militärische Überlegenheit für eine totale Eskalation des von ihm ausgetragenen Krieges, die sich strategisch gegen seinen regionalen Hauptgegner Iran richten. Darüber dürfen auch vorübergehende Waffenstillstandsabkommen nicht hinwegtäuschen. Die Besatzung und gewaltsame Besiedlung des Libanons und weitere Teile der Levante bis zum Sinai ist seit Jahrzehnten das Ziel der Zionisten.
Durch die zionistischen Angriffe auf weite Teile des Libanon unter demDeckmantel des Kampfesgegen die Hisbollah, die auf den Genozid in Gaza mit zahlreichen Raketenangriffen auf Nordisrael reagierte, ist eine humanitäre Notsituation entstanden. Das ohnehin krisengebeutelte Land wurden zum Austragungsort erbarmungsloser, bereits seit Jahren in Planung gewesenerkaltblütigerExperimente, wie dem „Pager-Angriff“ gegen die Hisbollah am 17. September 2024,derüber3000 Menschen imgesamtenLibanonbetroffen hat. Der durch den Druck der USA am 27. November eingegangene Waffenstillstandzwischen Israel und dem Libanonist nur eine Verzögerungeines Willenskrieges, der bis zum bitteren Ende geführt wird.Die 5. Weltkonferenz hat angesichts dieser Entwicklungen eine entscheidende Richtung entschieden:„all ICOR-Organisations present agreed on the full support of the Palestinian Liberation Struggle with a revolutionary-democratic perspective on the way to socialism. The common ground and the joint practical solidarity was not blocked by the differences yet to resolve."
Arabischer Golf: Die arabische Bourgeoisie kollaboriert mit dem US-Imperialismus
Die aktuellen Auseinandersetzungen beschränken sich allerdings nicht nur auf die Levante. Die Huthis im Jemen stellen eine weitere Kraft der vom Iran unterstützten sogenannten Widerstandsachse dar, die gegen den Zionismus kämpfen. Der Krieg im Jemen brach 2014 aus, nachdem die Huthis die Hauptstadt Sanaa übernahmen. Saudi Arabien und später auch VAE griffen in den Krieg ein, um den Einfluss des Irans zurückzudrängen. Die Leidtragenden dieser Angriffe sind die 2,5 Millionen Jemenis, die in extremer Armut leben und schutzlos den willkürlichen Luftangriffen ausgesetzt sind.
Das saudische Königshaus ist mit den VAE, einer der wichtigsten Verbündeten des US-Imperialismus. Auch wenn es sich bei den Akteuren der Region um verschiedenste Vertreter des politischen Islam handelt, dürfen wir nicht vergessen, dass diese sehr unterschiedliche und auch konträre Interessen vertreten, teilweise nationale Kämpfe führen. Die unterschiedlichen Analysen der ICOR-Mitglieder auf die Kräfte in der Region können Thema der von der 5. Weltkonferenz geplanten 2. Ausgabe der Palästina-Zeitschrift sein. Eine tiefergehende Analyse über die historische und aktuelle Rolle vor allem des US-amerikanischen und britischen Imperialismus, reaktionäre antikommunistische politisch-islamistische Akteure entsprechend ihrer Interessen zu initiieren, zu finanzieren, zu steuern und zu instrumentalisieren ist sinnvoll, um die Kräfte der Region einschätzen zu können. Die Entwicklungen in Syrien weisen erneut auf diese Notwendigkeit hin.
Nordafrika: Hinterland des Krieges
Als das größte der arabischen Länder und Bindeglied zwischen Asien und Afrika, ist der Einfluss Ägyptens auf die Entwicklungen in der Region groß. In der mit dem Zionismus und Imperialismus kollaborierenden Militärregime unter dem Diktator al-Sisi ist die politische Freiheit aufgehoben worden und wie in nahezu allen Ländern Nordafrikas und des Mittleren Osten wurde im Land der arabische Volksaufstand gestohlen. Dennoch, unter dem Druck der viel zu hohen Staatsverschuldung und der verschwenderischen Baupolitik des Regimes, kommt es wieder vermehrt zu Arbeiterprotesten, wie z.B. Anfang des Jahres als in Ghazl al-Mahalla 7.000 Arbeitende für bessere Löhne streikten. Diese Arbeiterkämpfe haben das Potential, einen Riss durch die Mauer der Unterdrückung zu reißen und einen Weg für soziale Kämpfe zu ebnen.
Auf der anderen Seite im Nordwesten des Kontinents, besteht eine enge Partnerschaft zwischen der reaktionären marokkanischen Monarchie und dem US-Imperialismus und Zionismus. Sie kooperiert militärisch mit Israel und hält mit der Annektion der Westsahara die letzte „klassische Kolonie“ Afrikas unter ihrem Joch. Trotz der Repressionen entwickelte sich in Marokko eine große Bewegung gegen die Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Eine Millionen Menschen demonstrierten für Palästina, ein klarer Ausdruck der Solidarität!
Ein weiterer enger Partner des Zionismus ist die jordanische Monarchie im asiatischen Kontinent. Doch innerhalb des Landes besteht eine eigene Dynamik, die darauf basiert, dass weit mehr als die Hälfte aller in Jordanien lebender Menschen palästinensische Wurzeln hat und sich seit dem 7. Oktober mobilisiert.
Der bürgerliche algerische Staat, im Gegenzug, spielt eine wichtige Rolle darin, die Einflussnahme von Israel in Afrika zurückzuhalten. Zusammen mit Südafrika verhinderten sie seit Jahren die Aufnahme Israels in die African Union. Wie vermehrt afrikanische Genossen in verschiedensten Diskussionen erklärten, z.B. auf der 5. Weltkonferenz oder dem Lenin-Seminar der PPDS in Tunesien, ist die Einflussnahme des Zionismus in Afrika und der Welt ein wichtiges Thema, dass es zu untersuchen und entlarven gilt.
Türkei und der KrieggegenKurdistan und Syrien
Mit einer Inflation von über 85% hat sich auch in der Türkei eine soziale Krise vertieft, die einhergeht mit einer politischen Verschärfung der Bedingungen. Seit 2015 findet ein offener Krieg des NATO-Staates gegen die revolutionär-demokratischen Kräfte im Land statt, ein Krieg der im Inneren wie nach außen geführt wird. Angriffe gegen die Werktätigen, die Frauen, das kurdische Volk, syrische Geflüchtete sind die Tagesordnung. Erdogan‘s politisch-islamistischer Faschismus hat das Ziel eine Friedhofsruhe im Land zu schaffen, den kurdischen nationalen Freiheitskampf mitsamt der revolutionären Bewegung zu zerschlagen und die türkischen Staatsgrenzen auf die Misak-ı Millî Grenzen des Osmanischen Reiches auszuweiten. Als besatzende Kriegsmacht entwickeln sie ihre Militärtechnologie und agieren militärisch in der Region wie auch in Afrika.
Der türkische Faschismus ist mitverantwortlich für die dramatischen Entwicklungen in Syrien. Am 28. November 2024 begannen Truppen der islamistischen HTS einen koordinierte und seit einem Jahr geplante Offensive mit der von der Türkei kontrollierten Syrischen Nationalen Armee (SNA) gegen das Assad-Regime und die Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens. Auch Israel unterstützte den Vormarsch, indem es 500 Stellungen der syrischen Armee bombardierte und weiteres Gebiet besetzte.
In der Erklärung der ICOR heißt es dazu:
„Der Durchmarsch der HTS zeigt, dass die Massen bis hinein in das Militär Assad jede Unterstützung entzogen haben. Das ist auch eine Quittung dafür, dass sein Regime auch ethnische/nationale und religiöse Minderheiten brutal unterdrückt hat. Russland ließ in seiner Strategie für machtpolitischen Einfluss in der Region Syrien fallen, nicht zuletzt wegen seiner Kräftekonzentration auf die Ukraine. Assad floh nach Moskau zu seinem engen Verbündeten. Die Hauptstadt Damaskus und weitere syrische Städte wurden innerhalb von zwei Wochen militärisch von einer Allianz unter Führung der islamistischen HTS (Hayat Tahrir al-Schamund) eingenommen. Sie hat Wurzeln in Al-Kaida und ist mit der Dschabhat al-Nusra verbunden und agiert mit Erdogan im Hintergrund. Aber auch aus den USA und der EU werden die neuen Machthaber als ‚gute Nachricht‘ begrüßt. Das ist eine Reaktion auf die Schwächung des Einflusses insbesondere des Iran und Russlands auf Syrien, die stark gebunden sind in der Ukraine und in Libanon. Unmittelbar nach dem Sturz von Assad besetzten Truppen des zionistischen Israel die Grenzzone zu Syrien und eröffneten eine »vierte Front«. All das unterstreicht, dass es sich keineswegs um eine inner-syrische Auseinandersetzung handelt, sondern um eine Zuspitzung der Widerspüche zwischen imperialistischen Blöcken und reaktionären, faschistischen Mächten aller Art. Die Freude aus den Volksmassen über den Sturz von Assad kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich keineswegs eine demokratische Volksregierung etabliert hat. Wenn sich die HTS in ihrer Trennung von Al Kaida und IS geläutert gibt, so sei an die anfänglichen Beteuerungen der Taliban in Afghanistan erinnert. Deren faschistische Herrschaft ist jetzt schlimmer und frauenfeindlicher als je zuvor. Zum Teil sehen sich solche Kräfte aber offenbar auch gezwungen einen gemäßigteren Kurs zu präsentieren, um ihre Massenbasis halten oder erweitern zu können. Vor allem aber wird sich das Ringen verschiedener imperialistischer und anderer reaktionärer, faschistischer Kräfte um Macht und Einfluss in Syrien und dem Mittleren Osten weiter verschärfen.“
Für die Völker insbesondere die Frauen Syriens, allen voran in der demokratischen Autonomie Nord- und Ostsyriens beginnt eine brandgefährliche Zeit, in der die Bedingungen für die kommenden Angriffe reifen. Die Entwicklungen in Syrien nutzen den zionistischen Kriegstreibern, dem US-Imperialismus und den türkischen Faschismus, während sie für die Arbeiter und Unterdrückten, die mit legitimen Freiheitssehnsüchten im Aufstand waren, noch mehr Chaos und Ungewissheit schaffen.
Der Iran, ein Unterdrückerregime, dass die legitimen Freiheitswünsche seiner Völker mit aller Gewalt angreift, bildet einen Gegenpol gegen Israel und den US-Imperialismus in der Region. Die Entwicklungen seit dem 7. Oktober zeigen, in was für einer geschwächten und passiven Situation sich der Iran befindet. Die Dynamiken eines weiteren Volksaufstandes im Iran bestehen noch, der Graben zwischen Volk und Staat ist so tief wie nie, die Arbeiter kämpfen weiter. Währenddessen rücken die Bedingungen für Angriffe und Interventionen des US-Imperialismus und Israels gegen den Iran immer näher. Mit den Entwicklungen in Syrien zeigt sich, dass das Machtgefüge der Region sehr fragil ist und in den kommenden Zeiten weitere tiefgreifende Entwicklungen bevorstehen. Es ist davon auszugehen, dass die Region eines der drei Hauptschauplätze für kriegerische Auseinandersetzungen in der Gesamtentwicklung hin zu einem 3. imperialistischen Weltkrieg sein wird.
Perspektiven
Der Mittlere Osten ist in einer tiefen politischen Krise aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus, fehlender politischer Freiheit, ungelöster nationaler Fragen sowie religiöser und konfessioneller Konflikte. Diese multidimensionale Realität besteht unter Rahmenbedingungen, in der die Entwicklung des Imperialismus wesentliche Veränderungen geschaffen hat, die kleinbürgerliche Klasse immer mehr enteignet wurde, die Arbeitskraft der Frauen immer mehr in die gesellschaftliche Produktion einbezogen wurde und die Urbanisierung und wachsende Zahl von Studierenden die materiellen Bedingungen zusätzlich herausgefordert haben. Aus welcher Perspektive man auch blickt, die Situation im Mittleren Osten ist höchst dynamisch, labil und krisengeschüttet. Es zeigt sich, dass verschiedenste Elemente der Krisen im Mittleren Osten immer stärker werden. Die arabischen Volksaufstände von 2011 hatten die politische Krise in einer revolutionäre Krise transformiert. In dieser revolutionären Krise hat der Interventionismus imperialistischer und reaktionärer Mächte dauerhafte Kriegssituationen geschaffen.
Die Position der ICOR in diesem komplizierten Geflechte verschiedener imperialistischer und reaktionärer Interventionen, Interessen und Kämpfe ist es, die Forderungen, Sehnsüchte und Sorgen der Arbeitenden und Unterdrückten, der Völker, der Frauen, der Jugendlichen zu vertreten und sich keinem bürgerlichen Lager anzubiedern.
Nur der Zusammenschluss der Völker und ihre Mobilisierung für ihre Interessen repräsentieren eine Lösung. Dazu müssen wir die Zusammenkunft und den Austausch mit den demokratischen und revolutionären Vertretern der Völker aus der Region stärken. Hier fällt der ICOR eine vorwärtsbringende Rolle zu.
Die Entscheidung der 5. Weltkonferenz, die Region Mittlerer Osten in der Organisationsstruktur der ICOR zu verankern, bildet eine effektive Grundlage, auf der wir auf die Entwicklungen reagieren können. Die 5. Weltkonferenz hat uns dahingehend wichtige Perspektiven und Anstöße gesetzt:
1. Die Vorbereitung der nächsten Konferenz Mittlerer Osten
2. Die unverbrüchliche Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf
3. Resolutionen zu den Entwicklungen der Region
4. Diskussionen zum Imperialismus und Faschismus bezogen auf unsere Region
5. Praktische Zusammenarbeit und Kooridnation höher entwickeln und offensive Kampagnen zu den Entwicklungen
6. Das Gaza-Krankenhaus Projekt zum Erfolg führen.
7. Die 2. Ausgabe des Online-Magazins zu Palästina herausgeben.
Das heutige 1. Treffen der 1. Mittlerer-Osten-Koordination der ICOR hat einen gründenden Charakter und wird die Arbeitsweise und Funktion der Region in der ICOR klären.
Er wird die Perspektiven der 5. Weltkonferenz auf ihre Region anwenden und Diskussionen innerhalb der ICOR über die Region organisieren.
In diesem Sinne eröffnen wir die Diskussion und senden unsere Solidarität den revolutionären Kräften der Region.